Globale Unternehmen veröffentlichen zuvor gehütete Geheimnisse, die bekanntesten Universitäten bieten online freien Zugang zu den besten Vorlesungen und viele andere Teilen öffentlich alles, was sie wissen. Warum tun sie dies? David Price schreibt von einer Revolution, getrieben von technologischen Möglichkeiten, die unser Leben verändert hat und noch weiter verändern wird.

"Open - How We'll Work, Live and Learn In The Future" von David Price, erschienen Oktober 2013.

Diese Buch hat mich sehr gepackt. Ich werde hier deshalb Teile des Buches zusammenfassen, zitieren und diskutieren. Du bist herzlich eingeladen, an dieser Diskussion teilzunehmen, indem Du Kommentare schreibst oder wir uns zu einem Bier treffen ;-). Welchen Teil findest Du besonders spannend? Bei welchem Thema müsste man dran bleiben?


Ich habe den Artikel aufgeteilt in 5 Einträge:


Einleitung

Learning happens in three locations: in formal education (schools and colleges); in the workplace, and in our home and leisure time (let's call it the social space).

Seite 5

Lernen findet seit langer Zeit an diesen drei Orten statt (Schule, Arbeit und Freizeit). In den letzten zehn Jahren hat sich aber ein Bereich stark verändert: das Lernen in der Freizeit, oder wie Price es nennt, im social space. Dadurch, dass Information open, d.h. öffentlich verfügbar geworden ist, lernen wir heute mehr von Kollegen, als wir je in der Schule gelernt haben. Vermittler werden aus verschiedensten Bereichen unseres Lebens entfernt, so dass wir direkt miteinander verhandeln und kommunizieren.

Beim Lernen in der Schule und am Arbeitsplatz hat jedoch keine solche Entwicklung stattgefunden. Es ist, mit ein paar Ausnahmen, noch gleich wie vor hundert Jahren. Was passiert aber, wenn auch in diesen formellen Institutionen eine ähnliche Veränderung stattfindet?

Wo wir heute stehen

Die Kosten einer Ausbildung

[...] it seems as though the old axiom that 'learning is earning' — that, over the course of their working lives, graduates will always earn more money than non-graduates — may no longer be the case, especially given the rising costs of attending university.

Seite 14

Eine Ausbildung beinhaltet zwei Arten von Kosten: Die Semestergebühren und die verpasste Zeit, in welcher man hätte Geld verdienen können (Opportunitätskosten). Wenn man es rein aus monetärer Sicht betrachtet, dann müssten diese Kosten während des Arbeitslebens wieder eingenommen werden.

Dies wird jedoch immer schwieriger: Zum einen sind die Semestergebühren vielerorts gestiegen, vor allem in Ländern wie der USA. Zum anderen gilt heute nicht mehr automatisch, dass eine höhere Ausbildung direkt zu einem sicher Job mit hohem Einkommen führt.

Somit stellt sich zunehmend die Frage, ob sich eine höhere Ausbildung in einer der klassischen Insitutionen wirklich lohnt.

Das Ende des "Jobs"

[...] the US education system is still preparing students for commodity jobs, and thus facing overwhelming competition from developing countries, when it should be educating and training for 'innovation jobs', which are less easily outsourced. In fact, 'jobs' is something of a misnomer: in the future, we are more likely to be talking about 'tasks' or contracts.

Seite 14 f.

Die klassischen Jobs im Sinne von langjährigen, festen Anstellungen werden vermehrt ersetzt durch kurzfristigere Arbeitsverträge. In einigen Branchen ist es bereits üblich, dass über Onlineplattformen professionelle Dienste angeboten werden, oft sogar in einer Art Auktion. So werden klar abgesteckte Aufträge vergeben.

Für das Arbeitsleben bedeutet dieser Trend, dass es mehr Wechsel gibt. Man muss sich vermehrt weiterbilden, sich öfter neu erfinden und sich als Arbeiter selbst vermarkten. Die Frage ist, ob unsere Schulbildung auf die geänderte Arbeitssituation ausreichend vorbereitet.

Das Ende des Wachstums

Wachstumsdrang und Wachstumszwang sind Themen, die mich schon seit einiger Zeit beschäftigen. Wachstum wird oft mit Erfolg gleichgesetzt und ganz selbstverständlich als ehrwürdiges Ziel akzeptiert. Kaum wird das Streben nach Wachstum je hinterfragt. Dabei müsste man sich doch die Frage stellen, ob nicht die aktuelle Grösse genau die richtige wäre, ob man nicht genau jetzt damit zufrieden und glücklich(?) sein dürfte.

Die wachstumskritischen Stimmen scheinen sich in den letzten Jahren etwas zu mehren. So schreibt David Price vom Post Growth Institute und zitiert Donnie Maclurcan, einem starken Befürworter einer Non-Profit-Zukunft:

The for-profits will collapse because shareholders are demanding profit. Whereas, the not-for-profit model has desirability, sustainability, feasibility and inevitability on its side. [...] Wouldn't it be nice to shift to a not-for-profit economy where purpose drives our primary outcomes, in terms of business?

Donnie Maclurcan in "The Shift Index 2011: Measuring The Forces of Long-term Change", 2011, Deloitte Centre for the Edge.

Eine Zukunft, wo Unternehmen von noblen Zielen anstatt von Profit getrieben werden - ganz so idealistisch sehe ich die Zukunft nicht. Aber ich will mich auf jeden Fall dafür einsetzen, dass es mehr solche Unternehmen gibt!

Was bedeutet Open?

David Price beginnt damit, die Unterschiede aufzuzeigen zwischen dem Lernen in Institutionen (School, College & Work) und dem Lernen in der Freizeit (socially) (S. 27):

Lernen in Institutionen vs. Lernen in der Freizeit

Learning in School, College & Work vs. Learning Socially
Formal:
When, where, how and with whom is pre-determined
Informal:
We learn when, where, with whom and how we please
Individual:
We demonstrate our understanding and skills alone
Social:
We study and demonstrate our understanding in groups
Linear:
Learners follow a sequential programme according to the 'curriculum'
Non-linear:
Learners follow non-sequential routes according to interests
Just in case:
Knowledge acquisition precedes actions
Just in time:
Knowledge is gained as the task demands
Tutor-to-student:
One expert, few learners
Networked:
The experties is in the crowd
Transmissive:
Teacher transmits, (usually through lectures) students receive
Experiential:
Meaning is made and shared by experience

Price meint hier nicht, dass alles Lernen in Schule und bei der Arbeit zwingend durch die linke Spalte, während das soziale Lernen durch die rechte Spalte definiert wird. Aber es ist bestimmt in der Tendenz schon so.

Hunger nach Wissen

Einen der Gegensätze aus der Tabelle oben möchte ich besonders hervorheben: Just in case gegen Just in time. Das Lernen auf Vorrat ist etwas, das mich als Lehrer zunehmend stört. Wir füttern die Lernenden mit Wissen, obwohl sie keinen Hunger danach haben. Viel lieber möchte ich warten, bis der Hunger da ist. Der Hunger nach Wissen kommt meist dann, wenn jemand vor einem konkreten Problem steht, das er/sie nicht lösen kann. Wenn die Umgebung des Lernenden inspirierend ist, also quasi den Appetit anregt, dann kommt der Hunger nach Wissen meist von alleine (vor allem bei Kindern). Wir haben jedoch oft nicht die Geduld, um auf den Hunger zu warten, oder unser System erlaubt diese Form einfach nicht.

The mind is not a vessel to be filled, but a fire to be kindled.

Plutarch

Von E-Learning zu MOOCs

In den 80er und 90er Jahren gab es einen Hype um E-Learning. Durch die Digitalisierung erwartete man, dass sich das Lernen revolutionieren würde. Offensichtlich ist dies nicht eingetroffen. Digitale Technologien schaffen zwar neue Möglichkeiten, jedoch reicht es nicht, wenn traditionelle Lehrmethoden einfach in der digitalen Welt nachgebildet werden.

Der neue Trend heisst MOOC (Massive Open Online Courses). In den Jahren 2013 und 2014 haben zahlreiche Top-Universitäten und private Institutionen ihre besten Vorlesungen zur freien Verfügung ins Internet gestellt. Man hat aus der E-Learning-Bewegung gelernt und versucht, die Kurse für das Online-Medium völlig neu zu entwerfen. Dies ist ein enormer Aufwand, was sich an den hohen Beträgen zeigt, die die Institutionen dafür ausgeben.

Aber auch bei MOOCs hat sich der Hype aus dem Jahr 2013 inzwischen schon etwas gelegt. MOOCs alleine werden vielleicht noch nicht das richtige Rezept sein. Doch wo ich mit David Price einig bin, ist, dass Open das Potential hat, unser Lernen grundlegend zu verändern.

'Open' is fundamentally challenging teachers of just about everything.

Seite 30

Informelles Lernen

Encouraging learners to share what they know, and constructing knowledge together, subtly shifts our expectation of teachers and other leaders of learning: from giving authoritative answers to asking challenging questions; from the sage on the stage, to the guide on the side.

Seite 36

Wissen ist nicht erst seit MOOCs für die breite Masse zugänglich. Bücher und öffentliche Bibliotheken gibt es ja schon länger. Und doch hat sich mit der Online-Verfügbarkeit von zugänglich aufbereitetem Wissen etwas verändert. Oder besser gesagt, es wurden Möglichkeiten geschaffen für Veränderung, die wohl auch mit der aktuellen Form der MOOCs noch lange nicht ausgeschöpt worden sind.

Das Problem ist, wie es Ken Robinson sagt: "we keep trying to build a better steam engine". Wir versuchen das alte zu verbessern anstatt dass wir Bildung für die heutige Zeit radikal neu erfinden würden.

Informelle Möglichkeiten, um sich Wissen anzueignen sind zahlreich vorhanden. Sind wir mal gespannt, wie wir diese in Zukunft nutzen werden.


→ Lies weiter im Teil 2: SOFT Prinzipien.